Der Wohnbauboom in Wien erreicht und überschreitet heuer seinen Höhepunkt. Mit einer Fertigstellungszahl von rund 19.700 Einheiten werden die bisherigen Höchstwerte aus 2020 und 2021 nochmals um gut 2.000 Wohnungen übertroffen. Ein wesentlicher Teil des Anstiegs ist aber indirekt auch durch die Pandemie bedingt, da die damit verbundenen operativen Herausforderungen – unterbrochene Lieferketten, Reorganisationsbedarf auf Baustellen, Verfügbarkeit von Personal – bei einigen Projekten zu Verzögerungen führten und so mehrere Hundert Wohnungen, die eigentlich bereits 2020/21 auf den Markt hätten kommen sollen, erst heuer fertiggestellt werden.
Ein Überangebot von Wohnungen ist dennoch weder aktuell gegeben noch für die kommenden Jahre zu erwarten. „Die neuen Projekte sind zu einem sehr hohen Maß vorverwertet“, erklärt BUWOG-Geschäftsführer Andreas Holler. Die Nachfrage werde dabei einerseits durch die weiter steigende Bevölkerungszahl (Prognose für 2022 laut Stadt Wien: plus rd. 12.300) und sinkende Haushaltsgrößen sowie andererseits durch den Wunsch nach Veränderung und Verbesserung der Wohnsituation getrieben. „Es gibt weiterhin großen strukturellen Bedarf nach modernem Wohnraum und die Wohnungssuchenden nutzen das breite Angebot, um jetzt in ihre Wunschwohnung umzuziehen, die sie in den vergangenen Jahren nicht immer gefunden haben.“
Tatsächlich sei für Wohnungssuchende jetzt der Zeitpunkt, um zuzugreifen, so Holler weiter. „Rückläufige Baubewilligungen, die geringe Anzahl an Widmungen in der Kategorie Wohnen während der Pandemiejahre 2020 und 2021 sowie die heuer deutlich reduzierte Zahl an Baustarts werden ab 2023 mehrere Jahre lang zu einem Rückgang der Fertigstellungszahlen führen. Mittelfristig rechnen wir damit, dass sich der Wohnungsneubau auf dem Niveau der 2010er-Jahre einpendelt. Das entspricht
auch dem strukturellen Bedarf und sichert einen gesunden Markt mit ausgewogenem Verhältnis von Angebot und Nachfrage.“
Das Wachstum des Neuflächenangebots seit 2019 entfiel fast ausschließlich auf den Bereich der Mietwohnungen. Die Zahl der neuen Eigentumswohnungen blieb hingegen weitgehend stabil, unter Berücksichtigung des wachsenden Anteils von Anlegerwohnungen, die zur Vermietung statt zur Eigennutzung erworben werden, gibt es praktisch überhaupt keinen Anstieg. Diese Situation wird sich auch in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht ändern, da institutionelle und private Großanleger weiterhin über hohe Liquidität verfügen und das Wohnsegment besonders attraktive, langfristige Investmentperspektiven bietet.
Mieten steigen maximal im Ausmaß der Inflationsrate, Kaufpreise stärker
Das schlägt sich auch in einer recht unterschiedlichen Entwicklung der Kaufpreise und Mieten nieder, wie Michael Ehlmaier, CEO der EHL Immobilien Gruppe, erklärt: „Bei Neuvermietungen sind heuer Zuwächse zwischen zwei und drei Prozent zu erwarten. Je nachdem, wie sich der Verbraucherpreisindex 2022 tatsächlich entwickelt, wird der Anstieg der Mieten damit möglicherweise sogar unter der Inflationsrate liegen. Generell gilt, dass die Steigerungen in eher zentralen Lagen, aufgrund des noch deutlich knapperen Angebots, höher ausfallen werden als in den Stadterweiterungsgebieten an der Peripherie.“
Weit stärker als die Mieten werden die Kaufpreise steigen. „Ich erwarte je nach Lage einen Preisanstieg von drei bis fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresniveau“, so Ehlmaier, „Wenn die Inflation höher ausfallen sollte als noch vor einigen Monaten erwartet, werden die Wohnungspreise auch entsprechend stärker anziehen. Auch hier gilt: Je zentraler die Lage, desto stärker die Zuwächse.“
Neben der Preisentwicklung seien heuer vor allem qualitative Veränderungen auf der Nachfrageseite bemerkenswert, erklärt Ehlmaier weiter. „Generell wird immer größerer Wert auf Wohnqualität gelegt: Gute Erreichbarkeit, Freiflächen, mehrwertschaffende Gemeinschaftseinrichtungen etc. spielen bei Wohnentscheidungen eine immer größere Rolle.“
„Um den Preissteigerungen bei gleichzeitig hoher Wohnqualität entgegenzuwirken, gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten“, ergänzt Holler. „Da wäre einerseits die Verschlankung und Digitalisierung behördlicher Prozesse, um etwa Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, und andererseits ein
höherer Vorfertigungsgrad beim Bau – beides kann sich aufgrund des Einflusses auf Bauprozesse bzw. -kosten preisdämpfend auswirken.“
Im Bereich Mietwohnungen sei darüber hinaus der Trend zur immer geringeren Wohnfläche gestoppt. „Immer mehr Kund:innen suchen wieder zwei statt eines oder drei statt zwei Zimmer“, erklärt Karina Schunker, Geschäftsführerin der EHL Wohnen. „Das ist zweifellos in hohem Maß auf die Erfahrungen aus Lockdowns sowie den gestiegenen Anteil von Homeoffice, Homeschooling und die allgemeine Wohnraumoptimierung zurückzuführen, die den Wunsch nach einem weiteren Zimmer massiv gesteigert haben.“ Dabei werde aber aus Kostengründen mit optimierten Grundrissen versucht, die größere Zimmerzahl mit möglichst wenig Zusatzfläche zu schaffen. In der Regel seien im Neubau Dreizimmerwohnungen heute zwischen 65 und 75 m², Vierzimmerwohnungen zwischen 80 und 90 m² groß.
Investitionen in Nachhaltigkeit müssen gefördert werden
Stark steigenden Stellenwert hat auch das Thema Nachhaltigkeit. „Die Klimadebatte hat dazu geführt, dass Nachhaltigkeitskriterien zu einem wichtigen Entscheidungskriterium geworden sind“, erklärt Daniel Riedl, der als Vorstandsmitglied der BUWOG-Mutter Vonovia für das Immobiliendevelopment des DAX-Konzerns in Deutschland und das gesamte BUWOG-Geschäft in Österreich verantwortlich ist. „Aus einem Nice to have ist ein Must have geworden. Für einen kleineren Teil der Wohnungssuchenden ist ökologische Nachhaltigkeit ein Hauptmotiv für Wohnentscheidungen geworden und bei sehr vielen Wohnungskäufer:innen oder -mieter:innen ist es der Punkt, der bei sonst vergleichbaren Angeboten den Ausschlag für ein Projekt gibt. Die Kund:innen fordern heute ressourcenschonende Bauweise, sanfte Mobilitätslösungen, Optimierung des Bodenverbrauchs, Energieeffizienz und die Nutzung nachhaltiger Energiequellen und das in einem leistbaren Preissegment.“ Die Vorreiterrolle, die die BUWOG seit Jahren in Sachen Nachhaltigkeit spielt, mache sich bei den aktuell in Vermarktung befindlichen Projekten in hohem Maß bezahlt, dennoch habe die Sache einen Haken: „All diese Maßnahmen wirken sich auf die Baukosten und damit auch auf die Miet- bzw. Kaufpreise und in weiterer Folge auf die Betriebskosten aus. Nicht jeder umweltbewusste Mensch kann auch das Budget aufbringen, um entsprechend zu wohnen. Gerade deshalb ist eine bessere Förderlandschaft vonnöten, die die staatliche Finanzierung höherer energetischer Standards abdeckt. Niemand hat etwas davon, wenn innovative und nachhaltige Wohnungen entwickelt werden, die sich am Ende nur ein Bruchteil der Gesellschaft leisten kann.“